...man redet nur noch 
mit mir




Hallo, ich habe eben 
mit viel Aufmerksamkeit 
den Beitrag über 
Hörgeschädigte gelesen.
Ich muß leider zugeben, daß mich dieses Thema bis Anfang des Jahres nie wirklich interessiert hat, aber auch nur deshalb, weil man einfach keine Hörgeschädigten kennt – vielleicht auch einfach nicht kennenlernen kann?
  Es ist sicher auch viel Angst und Bequemlichkeit dabei, sich um einen Hörgeschädigten zu kümmern. Was soll man tun, wenn man nicht verstanden wird, und wie soll man Freundschaften aufbauen, wenn man vermeintlich nicht miteinander kommunizieren kann?
  Ich bin nun seit der Geburt meines Sohnes am 24. Januar diesen Jahres dazu gezwungen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen (er wurde gehörlos geboren) und ich habe die Erfahrung gemacht, daß schon allein das Erwähnen der Taubheit des Kindes die wirklich seltsamsten Reaktionen hervorruft.
Am häufigsten 
passiert mir folgendes:
Jemand spielt mit meinem Kind, indem er es anschaut, lacht und redet auf es ein – mein Kind lacht zurück und brabbelt auch wie ein »hörendes« Baby. Wenn ich dann erwähne, daß er gehörlos ist, ändert sich sofort die Situation: mein Kind wird bestenfalls noch angeschaut, aber kaum jemand »spricht« danach noch mit ihm – man redet nur noch mit mir, obwohl es auch kein einziges »hörendes« Baby auf dieser Welt gibt, daß verstehen würde, was man zu ihm sagt.
  Dieses Verhalten tut mir sehr weh und ich kann mir ganz gut vorstellen, wie es einem Gehörlosen zumute sein muß, wenn er ähnlich behandelt wird.
Am meisten Angst habe ich 
davor, daß mein Kind 
ausgegrenzt werden könnte,
wenn es älter wird.
Im Augenblick bin ich mit der ganzen Situation ziemlich überfordert. Ich will für mein Kind ja logischerweise nur das beste – aber ich habe keine Ahnung, wie ich das anfangen soll. Glücklicherweise hat mein Sohn eine ältere Schwester (3,5 Jahre), so ist er wenigstens nicht völlig von seiner Umwelt abgeschnitten. Ich glaube nämlich, daß unsere »Große« ihm wirklich helfen kann, auch mit »hörenden« Kindern Kontakt zu haben.
  Ich selbst versuche mich schon mal an die Gebärdensprache zu gewöhnen und deutlicher zu sprechen, aber ich hätte vor einigen Monaten noch nicht gedacht, daß das Leben für Gehörlose derart schwierig sein kann. Ich habe mir einfach nie Gedanken darüber gemacht. Ich dachte höchstens, »nichts hören ist ja nicht so schlimm, man kann ja schreiben und lesen«. Dabei hat sich die Frage, wie man das lernen soll, wenn man nichts hört, für mich nie gestellt.
  Leider wird es wohl bei den allermeisten so sein, daß man erst selbst eine Erfahrung machen muß, ehe man sich mit einem Thema auseinandersetzt.
  Jetzt, nachdem ich so viele Jahre »ignorant« gelebt habe, tut es mir unendlich leid, daß ich mich mit der »Gesellschaft« habe mitreißen lassen und einfach so getan habe, als gäbe es nur behinderte Menschen, denen man ansieht, daß sie ein Handycap haben.
  Bleibt nur zu hoffen, daß sich dieser Zustand insgesamt ändert.


Sylvia, Mutter eines gehörlosen Sohnes

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